Wer lenkt das Geld?
Mythen über "die Juden" und die Finanzsphäre
zum Thema
Mathias Berek…
…ist Kulturwissenschaftler und Dozent am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Er promovierte 2008 über das kollektive Gedächtnis und die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit. Berek ist Principal Investigator zum Forschungsschwerpunkt “Culture Wars und Moralismus-Kritik: Kämpfe um Werte und Identitäten”.
Prof. Dr. Gideon Botsch…
… ist Politik- und Sozialwissenschaftler. An der Universität Potsdam doziert er in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Er publiziert und forscht seit Jahren zu den Themen Antisemitismus und Rechtsextremismus und ist Leiter der “Emil Julius Gumbel Forschungsstelle”. Von ihm erschienen ist unter anderem „Umvolkung und Volkstod - Zur Kontinuität einer extrem rechten Paranoia" (2019).
Dr. Pia Lamberty…
… ist Psychologin. Sie forscht seit Jahren zu der Frage, warum Menschen an Verschwörungserzählungen glauben und ist Mitbegründerin von CEMAS, dem “Center für Monitoring, Analyse und Strategie”. Gemeinsam mit Katharina Nocun veröffentlichte sie 2020 den Bestseller „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“. Im Jahr 2023 erschien außerdem noch “Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik” (2022).
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Quelle 1 - Katharina Nocun, Pia Lamberty: True Facts. Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft. Berlin 2021.
Quelle 02 – Bernhard Blumenkranz: Strasbourg. In: Fred Skolnik, Michael Berenbaum (Hg.): Encyclopaedia Judaica Volume 19. Detroit/NYC/San Francisco/New Haven/Waterville/London/Jerusalem 2007. S. 243-245.
Quelle 03 – Barbara Dettke: Die asiatische Hydra. Die Cholera von 1830/31 in Berlin und den preußischen Provinzen Posen, Preußen und Schlesien. Berlin 1995.
Quelle 04 – Wolfgang Wippermann: Rassenwahn und Teufelsglaube. Berlin 2005.
Quelle 05 – Israel M. Lau: Wie Juden Leben. Glaube - Alltag -Feste. Gütersloh 1988.
Quelle 06 – Kay Peter Jankrift: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter. Darmstadt 2012.
Quelle 07 – Moshe Idel: Saturn, Schabbat, Zauberei und die Juden. In: Anthony Grafton, Moshe Idel (Hg.): Der Magus - Seine Ursprünge und seine Geschichte in verschiedenen Kulturen. Berlin 2001. S.209-250.
Quelle 08 – Simon Philip de Vries: Jüdische Riten und Symbole. Reinbek bei Hamburg 1990.
Quelle 09 – METAhub: Krankheit/Hygiene/Pest. → LINK
Quelle 10 – Yakov Hadas-Handelsman: EU-Rede von Palästinenserpräsident Abbas – Applaus für Antisemitismus. In: Tagesspiegel, 06.07.2016. → LINK
Quelle 11 – Jüdisches Museum Berlin (Hg.): Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus, Göttingen 2009.
Quelle 12 – Winfried Süß: Der "Volkskörper" im Krieg: Gesundheitspolitik, Gesundheitsverhältnisse und Krankenmord im nationalsozialistischen Deutschland. München 2003.
Quelle 13 – Wolfgang Uwe Eckart: Medizin in der NS-Diktatur. Ideologie, Praxis, Folgen. Köln 2012.
Quelle 14 – Volker Koop: Dem Führer ein Kind schenken. Die SS-Organisation „Lebensborn“ e.V.. Köln 2007.
Quelle 15 – Ernst Klee: “Euthanasie” im Dritten Reich – Die “Vernichtung lebensunwerten Lebens”. Frankfurt am Main 2010.
Quelle 16 – Thorsten Halling, Julia Schäfer, Jörg Vögele: Volk, Volkskörper, Volkswirtschaft – Bevölkerungsfragen in Forschung und Lehre von Nationalökonomie und Medizin. In: Rainer Mackensen, Jürgen Reulecke (Hg.): Das Konstrukt „Bevölkerung“ vor, im und nach dem „Dritten Reich“. Berlin/Heidelberg 2005. S.388-428.
Quelle 17 – Peter Assion: Jakob von Landshut. Zur Geschichte der jüdischen Ärzte in Deutschland. In: Gerhard Baader, Gundolf Keil (Hg.): Medizin im mittelalterlichen Abendland. Darmstadt 1982. S.386–410.
Quelle 18 – Alfred Haug: „Neue Deutsche Heilkunde" - Naturheilkunde und Schulmedizin im Nationalsozialismus. In: Johanna Bleker, Norbert Jachertz (Hg.): Medizin im „Dritten Reich“. Köln 1993. S.129-136.
Quelle 19 – Klaus Dietrich Bock: Wissenschaftliche und alternative Medizin: Paradigmen – Praxis – Perspektiven. Berlin/Heidelberg 1993.
Quelle 20 – Thomas Beddies, Susanne Doetz, Christoph Kopke: Jüdische Ärztinnen und Ärzte im Nationalsozialismus. Entrechtung, Vertreibung, Ermordung. Berlin/Boston 2014.
Quelle 21 – Robert Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin. Von der Volksmedizin zu den unkonventionellen Therapien von heute. München 1996.
Quelle 22 – Günter Altner (Hg.): Der Darwinismus. Die Geschichte einer Theorie. Darmstadt 1981.
Quelle 23 – Peter Emil Becker: Sozialdarwinismus, Rassismus, Antisemitismus und Völkischer Gedanke. Wege ins Dritte Reich. Stuttgart 1990.
Quelle 24 – C. Meyer, S. Reiter: Impfgegner und Impfskeptiker – Geschichte, Hintergründe, Thesen, Umgang. In: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12, 2004. S.1182-1188. → LINK
Quelle 25 – Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern, Kevin Beesk: Impfgegner in Bayern zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Eine Ausstellung des Fachbereichs Archiv- und Bibliothekswesen der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern. München 2023. → LINK
Quelle 26 – Dietrich Krauß: Wir können alles außer impfen. In: Kontext:Wochenzeitung, Ausgabe 484, 08.08.2020. - LINK
Gerd-Klaus Kaltenbrunner: “Eugen Dühring.” In: Zeitschrift Für Religions- und Geistesgeschichte 22, no. 1 (1970): S.58–79. → LINK
Quelle 27 – Shulamit Volkov: Antisemitismus als kultureller Code. München 2000.
Quelle 28 – Wolfang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus, Bd.4, Ereignisse, Dekrete, Kontroversen. Berlin/Boston 2011. S.124-126.
Quelle 29 – Wenn man alles zusammenzählt. In: Der Spiegel 46/1949. → LINK
Quelle 30 – Percy Hermann, Lisa Winter: NS-Vergangenheit ehemaliger Frankfurter Stadtverordneter (1945-1968). Frankfurt am Main 2020. → LINK
Rebecca Schwoch, Walter Wuttke: Herbert Lewin und Käte Frankenthal: Zwei jüdische Ärzte aus Deutschland. In: Deutsches Ärzteblatt, Heft 19/2004. S.1319-1321. → LINK
Quelle 31 – Wolfgang Leonhard: Die Verschwörung der Kremlärzte. In: APuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte, 28/1957. → LINK
Quelle 32 – Wolfgang Benz: Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende der jüdischen Weltverschwörung. München 2007.
Quelle 33 – Jeffrey L. Sammons (Hg.): Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Grundlage des modernen Antisemitismus – Eine Fälschung. Text und Kommentar. Göttingen 1998. S.64f.
Quelle 34 – Robert Scholz: Die Lüge von der Schweinegrippe – oder: Jeder hat die Experten, die er verdient. In: Endstation Rechts, 08.12.2009. → LINK
Erhard Geißler: Aids-Verschwörung – Woher kam das Virus wirklich? In: Der Spiegel, 20.07.2012. → LINK
Quelle 35 – Pia Lamberty, Josef Holnburger, Maheba Goedeke Tort: Zwischen „Spaziergängen“ und Aufmärschen: Das Protestpotential während der COVID-19-Pandemie. Berlin 2022. → LINK
Deutschlandfunk: Corona-Demonstrationen – Wer marschiert da zusammen? 10.12.2020. → LINK
Quelle 36 – Mikrochips in Covid-Impfungen: Wie die absurde Verschwörungserzählung entstand. In: Der Standard, 13.06.2021
Quelle 37 – Felix Sassmannshausen: Corona-Protest mit Hasssymbol. In: Die Zeit, 04.07.2023.
Quelle 38 – European Union Agency for Fundamental Rights: Antisemitism in 2022. Overview of antisemitic incidents recorded in the EU. Luxembourg 2023.
Quelle 39 – Bundeszentrale für politische Bildung: Querdenker. → LINK
Quelle 40 – Markus Grill, Harald Schumann: Geheimpreise bei Medikamenten. Gesetzesänderung zugunsten von US-Pharmakonzern? In: tagesschau, 11.10.2024. → LINK
Quelle 41 – Viola Kiel: Der Ölkonzern Total wusste seit 1971 von der Klimakrise. In: Der Spiegel, 20.10.2021. → LINK
Quelle 42 – David Santos, Blanca Requero, Manuel Martín-Fernández: Individual differences in thinking style and dealing with contradiction: The mediating role of mixed emotions. In: PLoS ONE 16(9), 24.09.2021. → LINK
Quelle 43 – Stefan Goertz: Corona-Proteste und extremistische Einflussnahmen. Aktuelle Trends beim Protestverhalten von „Querdenkern“, „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ sowie Rechtsextremisten. In: forum kriminalprävention 4/2021. S.16-20. → LINK
Letzter Zugriff auf Links jeweils: 16.10.2025
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„Verdächtig Mächtig“ - Ein Podcast über Judenfeindschaft und Verschwörungsdenken. Was kennzeichnet Verschwörungsmythen? Warum spielen Fantasien über Jüdinnen und Juden dabei oft eine zentrale Rolle? Und wie kann man dem entgegenwirken? Gemeinsam mit unseren Gästen suchen wir nach Antworten. Ein Projekt von Bildung in Widerspruch e.V.. Gefördert im Rahmen des Berliner Landesprogramms Demokratie, Vielfalt, Respekt, gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung.
Moderation: Laura Cazes
Willkommen bei verdächtig mächtig. In dieser Episode geht’s um ein Thema, das wahrscheinlich niemandem mehr ganz fremd ist – außer vielleicht, man hat die letzten Jahre unter einem Stein verbracht: Verschwörungserzählungen rund um Medizin, Gesundheit und das Impfen. Spätestens seit der Corona-Pandemie sind wir alle irgendwie damit in Berührung gekommen. Darüber werden wir hier natürlich sprechen. Da wir uns in diesem Format aber der Verbindung von Verschwörungsdenken und Judenfeindschaft widmen, lenken wir unseren Blick vor allem in diese Richtung: Da gibt es z.B. die Vorstellung, Jüdinnen und Juden hätten Millionen Menschen infiziert, um sich an den Impfungen zu bereichern! So oder so ähnlich klingen diese antisemitischen Verschwörungserzählungen.
Neu sind solche Fantasien nicht - sie greifen alte judenfeindliche Motive auf und knüpfen an jahrhundertealte Legenden an, in denen die jüdische Minderheit für Krankheiten verantwortlich gemacht wurde oder ihnen vorgeworfen wurde, sie würden ganze Gesellschaften vergiften. Wann diese Motive entstanden sind, wie sie sich bis ins Heute transformierten – Dem gehen wir heute nach.
Aber bevor wir in die Wirren des Verschwörungsglaubens eintauchen, wollen wir erst mal von unserer Psychologin Pia Lamberty wissen: Gibt es zu den Themen Gesundheit und Medizin besonders häufig Verschwörungserzählungen? Und wenn ja, woran liegt das?
Pia Lamberty
Wenn man sich das anschaut, sieht man, dass sich Unmengen an Verschwörungserzählungen um das Thema Gesundheit und Krankheit ranken. Sei es Corona, sei es HIV, eigentlich jede, gerade virale Erkrankung wird verschwörungsideologisch aufgeladen. Das hat einmal was mit der persönlichen Relevanz zu tun, das heißt die Krankheit betrifft einen vielleicht persönlich, das sind Ängste, die damit einhergehenden, Unsicherheiten. Und dann ist es so mancher Menschen leichter, zu sagen, das Virus oder die Krankheit, die hat etwas mit einer Verschwörung zu tun und nicht eben damit, dass ich jetzt gerade mich mit meiner intensiven Erkrankung auseinandersetzen muss, mit den realen Ängsten, die ich habe. Das heißt: das suggeriert so eine Form von Handlungsoptionen. (…) Also man muss sich dann nicht mehr mit dem Krebs auseinandersetzen, sondern man wettert über die vermeintliche jüdische Weltverschwörung die mit der Erkrankung zusammenhängt.
Während der Covid19 Pandemie konnten wir genau so etwas beobachten. Aber schon Jahrhunderte vorher gab es antisemitische Verschwörungserzählungen. Wie genau sind diese aufgebaut? Dazu befragen wir unseren Experten für diese Episode, Mathias Berek:
Mathias Berek
Wenn wir die ganze historische Bandbreite aufmachen, was Juden in dem Bereich, Jüdinnen vorgeworfen wurde, dann ist das zum einen aus Motiven der Machtgeier Habgier heraus, Leute krank zu machen, Nichtjuden krank zu machen. Also macht ihr im Sinne von, dass man quasi die ganze Bevölkerung, die ganze nichtjüdische Bevölkerung krank machen wollte oder töten wollte, um Weltherrschaft zu erringen. Oder aber, was konkreten jüdischen Ärzten vorgeworfen wurde, ist Leute, Nichtjuden gezielt krank zu machen.
Schauen wir uns dafür doch einfach mal eine der ältesten Exemplare solcher Verschwörungserzählungen an. Dafür gehen wir in das 14. Jahrhundert:
Die wahrscheinlich älteste Verschwörungserzählung, laut der Jüdinnen und Juden Krankheiten verbreiten würden, ist die Legende der Brunnenvergiftung. In der ersten großen Pest-Epidemie im 14. Jahrhundert werden sie für die Verbreitung der Krankheit verantwortlich gemacht. Angeblich würden sie Gift in die Brunnen mischen und damit die christliche Bevölkerung mit der Seuche infizieren. Zwar sterben auch Jüdinnen und Juden an der Pest – das tut der Verbreitung der Verschwörungserzählung aber keinen Abbruch: Besonders in den Städten des Heiligen Römischen Reiches werden Massaker und Vertreibungen an der dortigen jüdischen Bevölkerung verübt. In Strasbourg verbrennt ein Mob etwa tausend Menschen auf Scheiterhaufen, in den Städten Mainz, Köln und Worms wird fast die gesamte jüdische Bevölkerung ermordet. Bemerkenswert ist, dass die antisemitische Gewalt schon bald nicht mal mehr einen Anlass braucht: In Städten ohne Pestausbruch gibt es ebenso Pogrome. Und auch in den späteren Jahrhunderten werden Jüdinnen und Juden immer wieder beschuldigt, für die Verbreitung von Pest-, sowie anderen hochinfektiösen Krankheitsausbrüchen, verantwortlich zu sein.
Im Mittelalter waren die medizinischen Erkenntnisse noch nicht so fortgeschritten wie heute. Das fatale Zusammenspiel aus Unwissenheit und dem Bedürfnis, Schuldige auszumachen birgt immer das Potenzial für Gewalt. Doch im christlichen Europa kommt außerdem noch der Aberglaube hinzu. Also die Furcht vor dem Teufel, oder Hexen und Zauberern… Was hat das aber mit Antisemitismus zu tun? Befragen wir dazu unseren Historiker, Gideon Botsch:
Gideon Botsch
Insofern, als Juden seltsame fremdländische Sprüche über Lebensmitteln und Flüssigkeiten machen, etwa wenn sie einfach den Segensspruch über den Wein sprechen, im Hebräisch, schon dadurch haben wir sozusagen den Verdacht, sind das Hexer, sind das Zauberer? (…) Also da haben wir natürlich schon immer sozusagen einen Verdacht: was machen die da eigentlich hinter ihren Türen? was passiert da eigentlich?
Tod und Krankheiten werden im Mittelalter häufig mit dem “Bösen” in Verbindung gebracht. Zu den teuflischen Taten zählt eben auch die Giftmischerei, oder das Krankmachen durch Zaubersprüche. Minderheiten, Frauen, Ausgestoßene und eben auch Jüdinnen und Juden wurden besonders häufig solch teuflischer Taten bezichtigt. Doch nur einer Gruppe wird eine so großangelegte und verheerende Verschwörung, wie die angebliche Brunnenvergiftung nachgesagt. Was hätte den Vorwurf der Brunnenvergiftung noch begünstigen können, Gideon Botsch?
Gideon Botsch
Es gibt unter den jüdischen Riten einige, die Gesundheit und Sauberkeit betreffen und möglicherweise, das ist zumindest eine Hypothese, dazu geführt haben, dass manche Infektionskrankheiten sich etwas später erst bei der jüdischen Minderheit auswirkten. Das wird zum Beispiel über die Schwarze Pest des 14. Jahrhunderts behauptet, dass sie bei den jüdischen Gemeinden etwas später ankam. Ich kann das nicht selbstständig prüfen, ich weiß gar nicht, ob das stimmt. In der Pestepidemie des 14. Jahrhunderts tauchte jedenfalls das Motiv auf, die Pest ist verursacht, weil die Juden die Brunnen vergiftet haben. Sie haben die Brunnen vergiftet, weil sie die Christen hassen und uns schaden wollen. Und seitdem ist dieses Motiv eigentlich in der Welt. Aber es transformiert sich natürlich mit der Entstehung der modernen Medizin.
Nun besitzen Brunnen schon seit einiger Zeit keine Relevanz mehr für unser Leben. Und dennoch werden judenfeindliche Verschwörungsmythen über vergiftetes Grundwasser oder Brunnen vereinzelt immer noch geäußert. Der Mythos hat sich trotzdem verändert und unseren modernen Zeiten angepasst. Wir fragen uns also: Wie verändert sich diese antisemitische Unterstellung, dass Jüdinnen und Juden vergiften oder krankmachen?
Mathias Berek
Als die Medizin sich modernisiert hat, als die Gesellschaft moderner wurde, in den modernen Industriegesellschaften gab es dann eine Transformation (...) weil neue Erzählungen dazu gekommen sind. [...] Beispielsweise in 1900 da kamen dann auch diese Reinheitsideale, die mit völkischem Denken verbunden waren, also diese Imagination, es gebe einen Volkskörper. Also wir haben dieses biologische Denken, so etwas Soziales und Komplexes wie eine Gesellschaft als Körper zu denken und das noch zu verbinden mit so einer Wahnidee von einer völkischen Reinheit. Also dass dieser Körper irgendwie in der Vergangenheit mal pur und rein gewesen wäre und dann halt vermischt worden wäre mit anderen Völkern und dann eben sogar auch als Körper auch vergiftet werden kann. Und diese Vergiftungsmetapher, die wurde dann gerne auch wieder den Juden unterstellt.
Die Rassenideologie des 19. Jahrhunderts teilt Menschen in Völker und Rassen ein. An ihrer Spitze steht, wie kann es anders sein, der weiße europäische Mann. In dieser Zeit entsteht das Konzept des „Volkskörpers“. Es denkt das Volk wie einen biologischen Organismus. Dieser müsse vor allen schädlichen Einflüssen geschützt werden. Das meint vor allem genetische Einflüsse: Alles, was als minderwertig, krank oder behindert gilt, solle aus dem Genpool getilgt werden. Jüdinnen und Juden sowie andere Gruppen gelten als „fremdrassig“ und dadurch ebenso minderwertig. Sie wären selbst das Gift, an dem der deutsche Volkskörper zugrunde ginge. Propaganda-Bilder von Jüdinnen und Juden als Parasiten, Ratten, Krebsgeschwüre oder Gleichnisse mit Bakterien oder Viren sind fester Bestandteil des antisemitischen Bildrepertoires. Die Wahrung des „Volkskörpers“ wird auch erklärtes Ziel im Nationalsozialismus: sogenannte „Rassenhygiene Gesetze“ werden erlassen, die den deutschen Genpool von unerwünschten Einflüssen schützen sollen. Geburtsprogramme für genetisch besonders „wertvolle“ Deutsche werden umgesetzt, Abtreibungen dagegen verboten. Menschen mit angeborenen Krankheiten oder Behinderungen und Homosexuelle dürfen keine Kinder bekommen und es werden sogar Zwangssterilisationen durchgeführt. Weit über 70.000 Menschen werden systematisch ermordet, weil sie durch ihre körperlichen oder psychischen Behinderungen als minderwertig gelten.
Mathias Berek
Im Nationalsozialismus wurde diese Idee, diese Wahnidee eines Volkskörpers, der gesund sein kann, der krank gemacht werden kann, der vergiftet werden kann, in seiner Reinheit vermischt werden kann, der wurde da auf die Spitze getrieben und umgesetzt. Also diese Wahnidee wurde im Nationalsozialismus versucht umzusetzen. Und da spielte Antisemitismus eine ganz zentrale Rolle, weil den Juden am meisten vorgeworfen wurde, diesen Volkskörper zu zersetzen als Idee, aber eben auch krank zu machen.
Dieser Zersetzungs- und Vergiftungsvorwurf ist elementar im Antisemitismus und zieht sich durch all die Themen, die wir hier bei verdächtig mächtig behandeln. Ein Vorwurf, der die jüdische Minderheit zwar kollektiv trifft, aber sich ganz besonders noch mal an jüdische Ärztinnen und Ärzte richtet:
Gideon Botsch
Der Arztberuf war im Judentum ein Beruf, den man ergreifen konnte, einer der wenigen Nischen, die man ergreifen konnte, und teilweise sogar mit Erlaubnis der Obrigkeit. Das Medizinstudium war ausnahmsweise manchen Juden schon im 17. und 18. Jahrhundert erlaubt, spätestens im 18. Jahrhundert, sodass Juden hier auch eine Rolle gespielt haben mögen. Natürlich kann einem Arzt auch mal was schiefgehen und wenn man dann sagt, der Jude hat mich schlecht behandelt, ist das auch naheliegend. Mit der Entstehung der modernen Medizin haben wir allerdings einige jüdische Ärzte, die hier Pioniere werden. Und das ist natürlich eine heikle Situation.
Natürlich könnte man die Ablehnung jüdischer Mediziner und Medizinerinnen eben auf Konkurrenz zurückzuführen. Zusätzlich haben wir es aber noch mit einer allgemeinen Ablehnung der modernen Medizin zu tun. Und das Stereotyp des „jüdischen Arztes“ wird quasi zur Verkörperung dieser Ablehnung:
Gideon Botsch
Es gibt ein Verdikt gegen eine angeblich schädliche Schulmedizin, eine Medizin, die nicht heilt, nicht wirklich heilt, die das alte Wissen über Bord geworfen hat, die den Menschen in Einzelteile, den menschlichen Körper als Organismus in Einzelteile auseinandernimmt und gar nicht heilen kann, weil sie die Ganzheit gar nicht sieht. Und die sozusagen die moderne Medizin, die evidenzbasierte moderne Medizin diffamiert als sogenannte Schulmedizin, die ja sozusagen nur verkopft ihre schulmedizinischen Dinge macht.
Mathias Berek
Das ist auch so ein Phänomen aus dem 19. Jahrhundert, wo der Begriff der Schule eine andere Bedeutung hatte. Es war eher ein Begriff für ein geschlossenes, eher dogmatisches, eine Schule in der Wissenschaft. Das ist die Schule von dem und dem und das ist das Dogma und da werden Abweichler bestraft und so. Das ist ja auch eine Wissenschaft, eher so ein negativer Touch und daher kommt auch dieser Begriff Schulmedizin, eher so ein bisschen abwertend. Und das wurde dann aber später in der völkischen Bewegung, auch in der antisemitischen Bewegung, wurde es dann, auch in der impfkritischen Bewegung, war das so ein Feindbild. Weil das war dann die akademische Medizin, die halt für Impfung war, die nachgewiesen hat, dass Impfungen helfen. (…) Und das hat wiederum dann das Nationalsozialismus dann eher noch zementiert ist. Die haben diesen Begriff Schulmedizin dann wirklich auch ganz klar antisemitisch gewendet. Da war es dann auch wirklich ein Angriffsbegriff gegen jüdische Ärzte, gegen jüdische Wissenschaftler, die mit diesem Begriff Schulmedizin abgewehrt wurden.
Schulmedizin – Ein Begriff, den wir häufig noch nutzen, der aber eigentlich ganz schön problematisch ist. Als Gegenentwurf wurden ihr diverse Konzepte von Homöopathie, oder Naturheilkunde als natürlichere, „gesündere“ Medizin entgegengestellt. Anstelle von ominösen „chemischen Substanzen“ wäre Heilung eine Sache „natürlicher“ Mittel und innerer Einstellung. Selbstverständlich muss man hier sehr stark unterscheiden, da Begriffe wie Naturheilkunde alles Mögliche meinen können. Oft schleicht sich aber ein sehr naturalistischer und grundlegend problematischer ideologischer Zug hinein – der, wenn man nicht aufpasst, in gefährliche Bahnen abgleiten kann.
Mathias Berek
Also dieser Glaube an das Recht der Natur, dass es höherer Werte gerecht ist. Und wenn die Natur das will, dass ich krank werde, dann muss ich halt krank werden. Und die Krankheit ist was ganz Natürliches und da soll man sich nicht gegen wehren, da soll man nicht gegen vorgehen. Weil das wäre so quasi ein Eingriff in den Lauf der Natur. Das ist aber gleichzeitig sehr nah gebaut an diesen eher sozialdarwinistischen Vorstellungen vom Recht des Stärkeren. Wenn ich halt krank werde, an einer Krankheit, wo ich mich hätte impfen können und daran zugrunde gehe, dann bin ich halt nicht stark genug und deswegen muss ich halt sterben. (...) ja wer halt da schwer krank wird, der ist halt so schwach und muss halt ausgesiebt werden. Dieses sozial-darwinistische Denken spielt auch eine Rolle. Und was auch noch eine Rolle spielt, ist wirklich auch dieses biologistische Denken. (...) dass Gesellschaft nicht eingreifen soll, dass soziale Maßnahmen, dass politische Maßnahmen nicht so wichtig sind und nicht so, dass man da eh nicht viel ändern kann oder muss, sondern man soll der Natur und der Biologie ihren Lauf lassen.
Pia Lamberty
Dass auch so dieser Wunsch nach Naturheilmitteln und so weiter und ich würde sagen, dass das schon noch auf so einer strukturellen Ebene das Einfallstor in den Antisemitismus sein kann, dass man halt so das Gute, Natürliche hat, das Heimatverbundene und das Abstrakte, Böse, Gesellschaftszersetzende, was ja auch so das Fundament für Antisemitismus ist. Also diese antimoderne Weltbild, das steckt im Antisemitismus, steckt im Verschwörungsdenken. Die Ablehnung von Komplexität das hängt alles miteinander zusammen.
Zurück in das 19. Jahrhundert: Unterschiedliche Akteure lehnen also die moderne Medizin mit ihren Errungenschaften ab. Die Gründe können verschieden sein: Aber ganz besondere Ablehnung erfährt das Impfen. Und das schauen wir uns jetzt mal an:
Nachdem schon über Hunderttausend Menschen den Pocken zum Opfer gefallen waren, erlässt Otto von Bismarck 1874 das flächendeckende Reichsimpfgesetz. Schnell formiert sich Widerstand: Die Gegner und Gegnerinnen der Impflicht haben dabei unterschiedliche Beweggründe: Manche empfinden die Pflicht als staatliche Repression, andere stellen auch die Wirksamkeit in Frage oder glauben, dass die Impfung sie krank machen oder sogar zu Tieren verwandeln würde. Aus religiösen Kreisen heißt es, man solle nicht in Gottes Schöpfung eingreifen. Und die naturnah und völkisch denkenden Bewegungen betonen, es dürfe nur der Stärkere überleben, Impfungen würden das Prinzip der „natürlichen Auslese“ untergraben. In den diversen Antiimpfbewegungen finden häufig antisemitische Verschwörungserzählungen Anklang: Angeblich stecken jüdische Ärzte und Ärztinnen dahinter. Sie würden so die deutsche Bevölkerung vergiften und sich gleichzeitig an den Impfstoffen bereichern. Auch im Nationalsozialismus wird das Bild vom „impfenden jüdischen Arzt“ oder der schädlichen Schulmedizin verbreitet, obwohl trotzdem gleichzeitig weiter geimpft wird.
Wie so oft bei unserem Format denken wir uns bei der Recherche: Sollte man nicht meinen, dass diese Verleumdungen nach dem Nationalsozialismus aufgehört hätten? Nachdem die ganze Welt Zeuge wurde, was Antisemitismus anrichten kann? Nachdem kein Zweifel mehr an der mörderischen Natur der Judenfeindschaft bestehen sollte? Aber wie immer gilt: Der Antisemitismus hat kein Verfallsdatum und er kennt auch keine Grenzen. Er ist seit Jahrtausenden wie ein “kultureller Code” in unseren Gesellschaften eingeschrieben. Und der verschwindet nicht einfach mit einer historischen Zäsur, wie ein eindrückliches Beispiel zeigt:
1949 ereignet sich in Offenbach einer der ersten größeren antisemitischen Skandale der Nachkriegszeit. Im Mittelpunkt steht der Gynäkologe Dr. Herbert Lewin. Er hatte zuvor mehrere Konzentrationslager überlebt, während seine Familie ermordet wurde. Nach seiner Rückkehr aus den Lagern arbeitet er in Köln und holt an der Universität seine Habilitation nach, die ihm zuvor noch verweigert wurde. Lewin bewirbt sich mit Erfolg auf die Stelle des Direktors der städtischen Frauenklinik in Offenbach. Doch der Berufung folgt der Eklat: Die Gutachter, allesamt frühere NS-Medizinier, als auch Offenbachs Bürger- und Oberbürgermeister, stellen sich gegen die Wahl des jüdischen Arztes. Man könne den deutschen Frauen keinen Arzt mit einer solchen Geschichte zumuten, heißt es. Es sei zu befürchten, dass sich der Jude Herbert Lewin an den werdenden deutschen Müttern rächen wolle. Der Fall wird publik, sogar international. Am Ende schaltet sich sogar die US-amerikanische Verwaltungsbehörde ein, der die Kontrolle über Offenbach 1949 noch obliegt. Prof. Dr. Lewin wird schlussendlich doch Leiter der Frauenklinik. Der Fall beweist: Ressentiments gegen jüdische Ärzte und Ärztinnen waren immer noch weit verbreitet. Verschoben hat sich lediglich die vordergründige Argumentation: Nun sei Rache das Motiv und nicht mehr Profitstreben oder der Pakt mit dem Teufel.
Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs werden jüdische Ärzte und Ärztinnen übrigens auch Ziel von Judenfeindschaft. Dort geht es gleich um eine großangelegte “jüdische Intrige” im sowjetischen Staatsapparat. Verfechter dieser Verschwörungserzählung? Der sowjetische Diktator Josef Stalin:
Gideon Botsch
Gegen Ende seines Lebens, als er dann auch krank war, entwickelte er einen großen Argwohn gegen sowjetische Ärzte, insbesondere jüdische Ärzte. Und in seinem Kopf bildete sich dieses Motiv der Ärzteverschwörung heraus. Wir wissen, dass Stalin vor seinem Lebensende eigentlich relativ konkret schon die Deportation jüdischer Mediziner in die Deportationsgebiete im Osten der Sowjetunion relativ konkret im Kopf hatte. Dazu ist es dann nicht mehr gekommen. Das Ganze darf man jetzt aber nicht verengen auf sozusagen das kranke Hirn eines vereinsamten Diktators. Das ist es nicht, sondern es ist die Hochphase der Judenfeindschaft und des Antisemitismus in der sowjetisch kontrollierten Welt.
Fassen wir mal zusammen: Es handelt sich wie immer um ein altes Ressentiment. Und es deckt wirklich fast jeden Aspekt des Oberthemas Gesundheit ab. Krankheiten? Jüdinnen und Juden sind schuld. Die moderne Medizin? Von ihnen unterwandert! Medizinische Verfahren wie das Impfen? Eine Verschwörung! Jüdische Ärztinnen und Ärzte? Vergiften die Menschheit!
Aber, wieso eigentlich? Was hätten diese angeblichen jüdischen Verschwörer davon, Menschen krank zu machen? Ein paar mögen es schon ahnen: Natürlich die Weltherrschaft! Und woher wissen wir das? Genau, es steht geschrieben im Bestseller des Antisemitismus, in der Bibel der Verschwörungsgläubigen: Die Protokolle der Weisen von Zion! Mit dieser Hetzschrift konnte im zaristischen Russland der politische Feind diffamiert werden, indem man ihn zum Handlanger einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung machte. In den fiktiven Protokollen wird von jüdischen Verschwörern fantasiert, die sich im Geheimen treffen, um ihre Weltherrschaftspläne zu erörtern. Wir zitieren aus diesem Pamphlet:
Wir müssen ohne Unterlaß in allen Ländern die Beziehungen der Völker und Staaten zueinander vergiften; wir müssen alle Völker durch (...) Entbehrungen, Hunger und Verbreitung von Seuchen derart zermürben, daß die Nichtjuden keinen anderen Ausweg finden, als sich unserer Herrschaft vollkommen zu beugen. (S. 64 ff)
Von den Windpocken des Kindes, bis hin zum Krebs des Nachbarn oder größere Krankheitsausbrüche - wer an die Protokolle glaubt, findet theoretisch immer einen Anlass, Jüdinnen und Juden schuld zuzuschieben. Und tatsächlich können wir nachvollziehen, dass bei allen möglichen größeren Krankheitsausbrüchen der Moderne sich judenfeindliche Verschwörungserzählungen vermehren: Ebola, HIV, und eben auch Corona.
Als Gedankenstütze hier noch mal ein kurzer Abriss des Pandemieverlaufs: Ende 2019 wird der erste Fall einer infizierten Person bekannt. Aus China breitet sich die unbekannte Lungenkrankheit aus und schnell wird klar: Es handelt sich um eine Pandemie. In Deutschland ist das Gesundheitssystem am Limit, es gibt Kontaktverbote, Schulschließungen, Ausgangssperren, irgendwann dann verpflichtende Impfungen für bestimmte Berufsgruppen uvm. Gegen solche und weitere Verordnungen regen sich Proteste, unter den Demonstrierenden befinden sich auch Verschwörungsideologen. Wie zeigte sich dort der Antisemitismus, Mathias Berek?
Mathias Berek
In der Corona-Pandemie gab es eine starke Bewegung, die sich sowohl gegen die Diagnose einer Pandemie gerichtet hat und dann aber auch gegen die Maßnahmen gegen die Pandemie und da ganz besonders gegen die Impfung gerichtet hat. Und in diesen Szenen, das ist natürlich eine komplexe Szene, also auch Pandemie-Leugnung ist nicht das gleiche wie Impfkritik, das sind sich überschneidende Szenen nur. (...) da in dieser Szene gabs zum Beispiel Demos, wo Rednerinnen Theorien öffentlich vertreten haben, wie: Dass die Zionisten (…) was in dem Fall wirklich nur eine verklausulierte Beschreibung für Judentum ist, würden mit den Impfungen quasi der Bevölkerung Todesspritzen verabreichen wollen, um die Mehrheit umzubringen und den Rest wieder unter Gedankenkontrolle zu bringen, um halt da wieder die, in dem Fall sogar kommunistische Weltherrschaft zu errichten. (...) Zum anderen gab es aber auch sekundäre Formen von Antisemitismus in diesen Corona -Zeiten, die sich vor allen Dingen durch Relativierung, durch Verharmlosung des Holocaust, also durch Verharmlosung der Schoah geäußert haben. Das eine Beispiel, das sicherlich alle kennen, ist diese, sich einen gelben Stern anzuheften, der von der Optik her an die gelben Sterne, also an die sogenannten “Judensterne” im Nationalsozialismus erinnern sollen, wo halt dann der Begriff Jude ersetzt wird durch Impfgegner. (…) zum einen ist es eine ganz krasse Verharmlosung, die Pflicht, in einem Bus eine Maske aufzusetzen, gleichzusetzen mit einem Massenmord. Da hat man entweder ein ganz überzogenes Bild von was das mit einem macht, eine Maske aufsetzen zu müssen, oder eben man findet diesen Massenmord einfach nicht so schlimm, weil man den nur so schlimm findet, wie eine Maske aufsetzen zu müssen. Und das kann man nur, man kann das nur so weniger schlimm finden diesen Massenmord – die Schoah - nur weniger schlimm finden, wenn man es offenbar nicht so schlimm findet, dass Juden umgebracht werden.
Antisemitische Verschwörungserzählungen um die Covid19 Pandemie gab es nicht nur in Deutschland. Und man kann es auch nicht oft genug sagen: Mit zunehmendem Auftreten judenfeindlicher Narrative steigen auch antisemitische Gewalt- und Straftaten, was wir in den Pandemie-Jahren international beobachten konnten. Aber waren das auf diesen Corona Protesten denn alles Menschen, mit antisemitischer Einstellung?
Mathias Berek
Es gibt keine klar zuordenbare Szene oder ein Milieu, aus dem sich das nur speisen würde, sondern es ist wirklich eine sehr, sehr große Breite. (…) Also weder sind alle Pandemieleugner Impfkritiker, noch sind alle Verschwörungsgläubigen Leute Antisemiten. (…) Auch wenn es dies gibt, auch wenn man diesen Szenen oft vorwerfen kann und muss, dass sie sich gegen diese Minderheit nicht positionieren, also distanzieren sich auch nicht. Und diesen Vorwurf müssen sie sich machen lassen.
Sich von Anhängern der extremen Rechten und Antisemitismus zu distanzieren, sollte das Geringste sein. Das gilt für Protestbewegungen generell. Und zwar zu vielen verschiedenen Themen. Nun fragen wir uns aber: Wie ist das denn überhaupt mit dem Bedürfnis nach Kritik. An Gesundheitsentscheidungen, an Staatshandeln, an Krankenversicherungen usw. Denn wir haben es ja mit einer Reihe von Missständen zu tun. Und nicht jede politische Entscheidung während der Pandemie lässt sich rückblickend noch als sinnvoll einordnen. Pia Lamberty, Wie ist da das Verhältnis zwischen Frustration und Verschwörungsdenken?
Pia Lamberty
Wenn man sich das Thema Medizin anschaut, kommen daher verschiedenste Faktoren zusammen. Man hat zum einen natürliche Missstände, die da sind. Man hat gewinnorientierte Unternehmen, die jetzt nicht nur das Allgemeinwohl zum Ziel haben sondern da geht es um Profit. Man hat Gesundheitssysteme, die ja auch häufig tatsächlich auch nicht so gut funktionieren, das ist nochmal länderspezifisch unterschiedlich, aber generell kann man sagen, dass das schon auch viel Frustration, Ärger da ist, vielleicht keine gute Versorgungslandschaft.
Mathias Berek
Man kann leider nur feststellen, dass die Gesellschaft, die wir vorfinden, also in der wir leben, leider jede Menge Anlass dazu gibt, dass Menschen verzweifeln und ohnmächtig davorstehen und sagen, "Ja, guck dir doch an, wie es läuft, guck dir doch an, was passiert und was auch empirisch passiert und belegt ist." Dort passieren doch Verschwörungen, dort passieren doch... Pharmaunternehmen schreiben Gesetze fürs Gesundheitsministerium vor, oder Erdölkonzerne kassieren in 70er Jahren schon Studien zum Treibhauseffekt und lassen hauseigene Wissenschaftler Gegenstudien verfassen. (…) Weil die Strukturen der Gesellschaft so sind, wie sie sind, mit Ausbeutung, mit Unterdrückung, mit eben nicht demokratischer Beteiligung, nicht Wirksamkeit aller Einzelnen, dass sie sehen können, ich kann was bewirken, sondern sie sind den Strukturen ausgeliefert in vielen Fällen, das begünstigt die Entstehung von solchen Wahnstrukturen wie Verschwörungsdenken und wie Antisemitismus.
Pia Lamberty
Nichtsdestotrotz ist dieser Frust nicht unbedingt das Erklärungsmuster, warum Menschen Verschwörungen hinter medizinischen Anwendungen sehen. Das sind eher ideologische Gründe, das haben wir uns in Studien angeschaut und konnten das da sehr gut belegen und das hat auch etwas mit der Art und Weise wie man die Welt sieht zu tun. (…) Ein Punkt, der gerade so ein Gesundheitsentscheidungen eine große Rolle spielt, ist ja das Bauchgefühl. Also ich habe das Gefühl, das hat mir geholfen, ich habe jetzt, weiß ich nicht, ein Bonbon gegessen und dann war meine Erkältung weg. Und jemand, der eher analytisch denkt, der isst dann vielleicht dieses pinke Bonbon, sagt: “ach, jetzt geht es mir gut, das Bonbon scheint zu helfen.” Und wenn die Person dann mit dem Arzt spricht, dann sagt der Arzt vielleicht: “Na ja, das hat aber eigentlich keine Wirksamkeit, das kann es nicht gewesen sein, ich vermute, das war Zufall.” Jemand, der analytisch eher denkt, der würde dann sagen: “Ach, ok!” und das vielleicht für sich annehmen, wissen, dass das jetzt nicht wirklich geholfen hat und das Bonbon nur nehmen, weil es lecker schmeckt. Und jemand, der holistischer denkt, da kommt man dann mit dieser Information gar nicht so durch, weil es auch viel stärker um das eigene Gefühl geht, weil eben einzelne Fakten nicht so relevant sind, wie das große Ganze und diese Person wird dann das pinke Bonbon weiter nehmen. Solange es ergänzend ist zu einer Gesundheitsbehandlung ist das ja auch überhaupt kein Problem. Schlimm wird es aber, wenn sie dann sagt: “Ne, zu so einem Arzt gehe ich jetzt nicht mehr, das ist eh alles eine Verschwörung!”. Und dann nur noch auf diese Alternativen zugreift.
Wir kommen langsam zum Ende unserer Episode. Wir wollen nun von unseren Expertinnen zum Schluss wissen: Welche Handlungsoptionen haben wir? Worauf müssen wir achten, um nicht verschwörungsideologische Muster zu reproduzieren? Und was sollten wir bei den Themen Gesundheit, Medizin oder Impfen generell bedenken?
Pia Lamberty
Aus meiner Sicht wird die Rolle von Verschwörungserzählungen für den aktuellen Rechtsruck oft noch unterschätzt. Und gerade auch nochmal der Blick auf die Corona Pandemie wäre aus meiner Sicht wichtig. Was da passiert ist, dass sich Menschen zusammengetan haben und protestiert haben, vermeintlich gegen die Corona Maßnahmen oder die Impfung oder was auch immer und hier eine Gemengelage entstanden ist aus einer organisierten extremen Rechten, Neonazis, Faschisten Reichsbürger, die sich mit Personen die so eine ja vielleicht Form von Demokratieverdrossenheit, einen gewissen Verschwörungsglauben hatten und die sind zusammen auf der Straße. Und ich glaube das ist etwas, was viele Menschen nicht verstanden haben, dass diese sogenannten Corona Protest bei denen Verschwörungserzählungen eine große Rolle gespielt haben, vor Ort soziale Normen verschoben haben. Weil es ganz häufig keine Gegenproteste gab, weil diese Gruppierungen teilweise über Jahre hinweg jede Woche gelaufen sind und dementsprechend es so wirkte als wäre das in dem Ort normal und der Standard, dass man solche Positionen in die Öffentlichkeit bringt, ohne Widerspruch. Und auch wenn es sicherlich schwieriger ist gegen solche etwas heterogenen Protestgeschehen vorzugehen und sich da auch als Zivilgesellschaft Dinge zu überlegen. Man darf nicht erst dann mit Demokratiearbeit beginnen wenn es besonders radikal ist, sondern vorher. Und ich glaube, dass genau diese Leerstelle von Rechtsextremen genutzt wurde und dazu geführt hat was wir gerade sehen.
Mathias Berek
Ich denke, wenn man so ein paar Grundregeln und so ein paar Ziele im Auge behält, dann könnte man vielleicht gefeit oder gefeiter sein, da in solcher Verschwörungserzählungen oder in ein antisemitisches Denkmuster zu verfallen. Das wäre zum einen, sich wirklich fernzuhalten von jeden Reinheitswahnideen, und zwar sowohl bezogen auf den eigenen Körper als auch auf Kollektive oder auf Gesellschaften. Also diese Idee von Reinheit, dass man seinen Körper pur und rein halten sollte, hat schon was Problematisches und führt oft in trübe Gewässer und erst recht, wenn man es auf Gesellschaften, auf Institutionen, auf Bevölkerung hochrechnet.
Das zweite wäre, sich auch sehr sehr kritisch distanziert zu allen so naturalistischen Denkweisen zu halten. Also diesen Überzeugungen, die was mit dem Recht des Stärkeren zu tun haben, die immer damit zu tun haben, dass das alles, Das wäre einfach so natürlich gegeben und man kann sich da nicht gegen Wehren (…)
Und außerdem ist auch Antisemitismus nichts, was naturgesetzlich gegeben ist. Was man einfach so hinnehmen müsste, was irgendwie einfach da wäre. Auch Antisemitismus ist immer was Gemachtes. Da stecken immer auch Leute dahinter, die das betreiben. Also ganz konkrete Akteure, die auch teilweise auch aus eigenen Interessen da auftreten, weil sie ihre Bücher verkaufen wollen, weil sie ihre Channels voll haben wollen. Und diese Akteure kann man benennen und diese Akteure kann man auch sanktionieren. Also auch da ist man nicht in der vermeintlichen Naturgewalt ausgesetzt, sondern man kann und sollte einfach dagegen aktiv werden und man kann das auch ganz sehr gut an den konkreten Akteuren tun.
Wir sind am Schluss unserer Episode zum Thema Gesundheit und Medizin angekommen. Fassen wir noch mal zusammen.
Erstens: Themen rund um Medizin, Gesundheit, Krankheit oder Tod werden oft von Gefühlen wie Angst oder Ohnmacht begleitet, die wiederum ein Nährboden für Verschwörungsglauben sein können.
Zweitens: Die Vorstellung, dass Jüdinnen und Juden Menschen vergiften würden, ist uralt. Sie mag vielleicht auch absurd klingen. Aber sie findet sich in unterschiedlichsten Formen auch heute noch wieder. Sie reicht von Unterstellungen vom ganz konkreten Krankmachen durch Giftstoffe, bis hin zu einem abstrakten Zersetzungsvorwurf.
Drittens: Antisemitismus verbindet sich ideologisch im 19. Jahrhundert mit naturalistischem und biologistischem Denken. Die Abwertung von Menschen die als “minderwertig” gelten, ob durch Krankheiten oder Behinderungen oder durch ihre angebliche “Rasse” gehören zum Fundament dieser Ideologien.
Viertens: Bei den realen Missständen im Gesundheitssystem oder auch Fehlbehandlungen durch medizinisches Fachpersonal ist Frust und Ärger und auch Skepsis verständlich. Aber der Rückgriff auf eine historisch verankerte Ablehnung der modernen Medizin geschieht schnell und vor allem oftmals unterbewusst. Selbstreflexion und die Bereitschaft, sich klar von verschwörungsideologischen Akteuren zu distanzieren hilft. Wer wirklich was ändern möchte, darf eine komplexe Analyse nicht durch den Rückgriff auf Feindbilder ersetzen.
Das wars von uns. Bis zum nächsten mal bei verdächtig mächtig.