Über Judenfeindschaft und Verschwörungsdenken

Wer lügt uns an?

Mythen über "die Juden" und die Medien

In der dritten Episode begeben wir uns in die Untiefen der Informationsbeschaffung. Wir klären erst mal ganz Grundlegendes: Was meint der Vorwurf der Medienkontrolle eigentlich genau? Wer schürt die Verschwörungserzählungen über eine angeblich lügende Presse? Wir beleuchten die Ursachen hinter sinkendem Medien-Vertrauen, schauen auf reale Fälle von Medien-Kontrolle, beschäftigen uns mit aktuellen und historischen Varianten der Verschwörungserzählung und zitieren aus den „Protokollen der Weisen von Zion“ - Der populärsten Schrift des antisemitischen Verschwörungsglaubens!

Unser Gast

Prof. Dr. Nina Kolleck…

Ist Bildungsforscherin. Als Professorin lehrt sie seit 2023 an der Universität Potsdam Erziehungs- und Sozialisationstheorie. Sie ist in mehreren Beiräten aktiv und erhielt für ihre Forschung den “Award for Research Cooperation and High Excellence in Science” des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, dem European Research Council und der Max-Planck-Gesellschaft.

 

Wie immer mit

Prof. Dr. Gideon Botsch…

…ist Politik- und Sozialwissenschaftler. An der Universität Potsdam doziert er in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Er publiziert und forscht seit Jahren zu den Themen Antisemitismus und Rechtsextremismus und ist Leiter der “Emil Julius Gumbel Forschungsstelle”. Von ihm erschienen ist unter anderem „Umvolkung und Volkstod - Zur Kontinuität einer extrem rechten Paranoia" (2019).

 

Dr. Pia Lamberty…

…ist Psychologin. Sie forscht seit Jahren zu der Frage, warum Menschen an Verschwörungserzählungen glauben und ist Mitbegründerin von CEMAS, dem “Center für Monitoring, Analyse und Strategie”. Gemeinsam mit Katharina Nocun veröffentlichte sie 2020 den Bestseller „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“. Im Jahr 2023 erschien außerdem noch “Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik” (2022).

Weiterführende Informationen

Hier geht es zur Berliner Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen →  LINK

 

Hier geht es zum Beratungskompass VerschwörungsdenkenLINK

 

 

Quelle 1 - Hrsg. Jeffrey L. Sammons - Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Grundlage des modernen Antisemitismus - Eine Fälschung. Text und Kommentar. Göttingen 1998.

 

Quelle 2 - Will Eisner, Umberto Eco, Jörg Krismann - Das Komplott. Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion. München 2005 

 

Quelle 3 - Reporter ohne Grenzen - Rangliste der Pressefreiheit 2024 → Link

 

Quelle 4 - Berichte rund um Verstrickungen der Springer-Presse:

  • René Martens: Axel-Springer-Verlag und Döpfner-Leaks – Geld macht News macht Politik. Kontext: Wochenzeitung, Ausgabe 630, vom 26.04.2023 → Link
  • Caroline Schmidt, Armin Ghassim - Springer-Chef: Berichte auf Bestellung? Panorama-Sendung vom 04.05.2023 → Link

 

 

Empfehlungen

Amadeu Antonio Stiftung - Antisemitische Codes und Metaphern erkennen → Link

 

Bundeszentrale für politische Bildung - Knappe Zusammenfassung zur Wirkungsgeschichte der “Protokolle der Weisen von Zion” → LINK

 

Nichts gegen Juden - Kurz und knapp: Eine Gegenargumentation → LINK

 

United States Holocaust Memorial Museum - Historischer Zeitstrahl zur Wirkungsgeschichte des Protokolle der Weisen von Zion → LINK

 

Wolfgang Benz - Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende der jüdischen Weltverschwörung. München 2007.

 

Umberto Eco - Der Friedhof in Prag. München 2011.

Bildnachweise

Titelbild

Foto von Gontran Isnard auf Unsplash 

 

Audio

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Video

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Wien Museum  |  CC0 1.0  

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Wien Museum  |  Sammlung M.Hagemeister  |  CC0 1.0  

© Deutsches Historisches Museum, Berlin 

Wien Museum  |  Sammlung M.Hagemeister  |  CC0 1.0  

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© Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA e.V.) 

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© Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA e.V.) 

© Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA e.V.) 

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© Wikimedia Commons  |  Metropolico.org  |  CC BY-NC 2.0 

© Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA e.V.) 

Script zur Episode

Script

„Verdächtig Mächtig“ - Ein Podcast über Judenfeindschaft und Verschwörungsdenken. Was kennzeichnet Verschwörungsmythen? Warum spielen Fantasien über Jüdinnen und Juden dabei oft eine zentrale Rolle? Und wie kann man dem entgegenwirken? Gemeinsam mit unseren Gästen suchen wir nach Antworten. Ein Projekt von Bildung in Widerspruch e.V.. Gefördert im Rahmen des Berliner Landesprogramms Demokratie, Vielfalt, Respekt, gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung. 

Moderation: Garry Fischmann

 

Willkommen zu unserer dritten Episode von verdächtig mächtig. Hört ihr uns gerade als Podcast? Oder seht ihr uns gerade auf Youtube? Egal wie, in jedem Fall handelt es sich um Medien – und genau darum geht es heute! Ohne könnten wir uns die Welt gar nicht mehr richtig vorstellen, so allgegenwärtig sind sie in unserem Leben. Für Verschwörungsdenkende sind sie aber Gegenstand vieler Gerüchte und Vermutungen. Laut ihnen stehen nämlich alle Medien unter der Kontrolle einer geheimen Elite! In dieser Episode widmen wir uns diesen Verschwörungserzählungen. Und der Frage: Was hat das mit Antisemitismus zu tun? Dem gehen wir auf die Spur! Wir steigen direkt ein und wollen von unserer heutigen Expertin, der Bildungsforscherin Nina Kolleck wissen: Warum können Verschwörungserzählungen über Medien so gut andocken? 

 

Nina Kolleck

Es gibt immer eine Auswahl von Informationen, für die sich dann jemand entscheiden muss. Und hier genau gibt es oft das Missverständnis, dass es Annahmen gibt, es sei eine bestimmte Elite, die dann entscheidet, welche Informationen verbreitet werden welche Informationen nicht verbreitet werden. und wie Informationen auch vorbereitet werden. Und dass Menschen getäuscht werden über die Verbreitung von Informationen. Und das ist ja auch nicht nur ein Missverständnis, sondern da ist auch was Wahres dran. Denn wir wissen ja, aus der Geschichte oder auch aktuell, dass ist immer wieder dazu kommt, dass Informationen falsch verbreitet werden oder auch Informationen, die nicht stimmen verbreitet werden. Von daher ist es ja erstmal gut, dass Menschen eben auch kritisch hinterfragen, wenn sie Information erhalten: Sind die Information wirklich so, wie sie sind oder liegt dem da ein Missverständnis zugrunde. Das kann aber auch dazu führen, dass bestimmte Personen eben gar nicht mehr an die Fakten glauben, die ihnen übermittelt werden.

 

Eine Elite, die uns täuschen will. Uns Informationen vorenthält. Unsere Meinungen lenken will. Uns manipuliert. Gibt es so etwas wirklich? Ich denke da an Diktaturen mit gleichgeschalteter Presse. Oder an Algorithmen, die tatsächlich bestimmte Inhalte fördern können und Menschen damit beeinflussen. Ob wir in unserer modernen Medienlandschaft tatsächlich so etwas wie Medienkontrolle vorfinden, darauf gehen wir später ein. Jetzt widmen wir uns erst mal unserem Thema: Antisemitismus. Denn um wen es sich bei dieser Elite genau handelt, da sind sich viele Verschwörungsdenkende auf der ganzen Welt einig: 

 

Nina Kolleck

In Bezug auf Medien wird Jüdinnen und Juden oft vorgeworfen, dass sie als globale Elite die öffentlich-rechtlichen Medien kontrollieren und dadurch die öffentliche Meinung beeinflussen, manipulieren, um selbst an Macht und an Reichtum zu gewinnen auf Kosten von anderen. Und dass sie das genau ganz gezielt nutzen, um hier die Weltherrschaft abzusichern. Oft wird hier auch auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ eben zurückgegriffen und argumentiert, dass es Jüdinnen und Juden darum geht die Weltherrschaft zu erhalten zu erlangen oder abzusichern. Und das tun sie insbesondere auch – so die Erzählung, was eben eine Verschwörungserzählung ist – indem sie die Medien kontrollieren und Menschen, die arme Bevölkerung oder die mittelständische Bevölkerung eben manipulieren. 

 

Es ist so weit - Wir haben lange darauf warten müssen. Wir widmen uns dem Bestseller der Judenhass-Literatur – der Bibel der Verschwörungsgläubigen – dem Klassiker des Antisemitismus: Den „Protokollen der Weisen von zion“. Extra für euch haben wir uns diesen antisemitischen Müll durchgelesen. Und finden – wen wundert es – Auch eine Passage über die angebliche Medienkontrolle. Wir zitieren:

 

„Welche Aufgabe erfüllt jetzt die Presse? Sie dient dazu, die Volksleidenschaften in dem von uns gewünschten Sinne zu entflammen oder selbstsüchtige Parteizwecke zu fördern. Sie ist hohl, ungerecht und verlogen. Die meisten Menschen wissen gar nicht, wem die Presse eigentlich dient. Wir Juden haben sie unseren Zwecken dienstbar gemacht; wir werden sie, wenn wir erst zur Herrschaft gelangt sind, vollständig in Fesseln schlagen und jeden Angriff auf uns unnachsichtig bestrafen. […] Unsere Zeitungen werden den verschiedensten Richtungen angehören. Sich sogar gegenseitig befehden, um das Vertrauen der ahnungslosen Nichtjuden zu erwerben, sie alle in die Falle zu locken und unschädlich zu machen. […] Sie werden, wie der indische Götze Vischnu, hundert Hände haben, von denen jede den Pulsschlag irgendeiner Geistesrichtung fühlen wird.“

 

Das geht jetzt noch so weiter. Zu fast jedem Thema, das wir bei verdächtig mächtig behandeln, haben „die Protokolle“ was zu sagen. Banken und Börsen? Das sind „die Juden“! Medien? Kontrolliert – von Juden. Die Politik? Längst in jüdischer Hand. Jüdinnen und Juden werden so als Erklärung für einfach alles herangezogen. Aber was hat es damit auf sich? Was sind diese geheimnisumwobenen „Protokolle der Weisen von Zion“? Wie sind sie entstanden? Dazu fragen wir unseren Historiker. 

 

Gideon Botsch

Die „Protokolle der Weisen von Zion“ sind die Mutter der Verschwörungsmythen rund um Juden. Sie sind gefälscht, sie sind hergestellt, es gibt keine Grundlage dafür, sie sind eine Erfindung. Ihre Ursprünge im Roman des 19. Jahrhunderts haben verschiedene Wissenschaftler, darunter der verstorbene italienische Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Umberto Eco, ja sehr genau herausgearbeitet. Dass das also in der fiktiven Romanliteratur des 19. Jahrhunderts wurzelt, dann politisiert und den Juden zugeschrieben wird als Großverschwörung. In den „Protokollen der Weisen von Zion“ ist ein ganz zentrales Motiv, dass eine Verschwörung der Eliten, der jüdischen Eliten, eben dieser Weisen von Zion, die sich heimlich auf einem Friedhof, dem Friedhof in Prag, also noch ein malerisches Bild dazu, was den Romancharakter unterstreicht, treffen, dass sie auf diesem Geheimtreffen einen Plan zur Erringung der Weltherrschaft besprechen. Weil den Juden zugeschrieben wird, dass sie schwach und bösartig sind, dass sie nicht mit offenem Visier kämpfen, muss das natürlich eine geheime Verschwörung sein. Und ein zentrales Element ist das Aufhetzen der Völker gegeneinander, das Aufhetzen der Menschen innerhalb einer Gesellschaft gegeneinander. Hier merken wir sehr deutlich, wer dieses Produkt eigentlich erzeugt hat. Nämlich die europäischen Obrigkeiten die im Zuge der sozialen Auseinandersetzungen des späten 19. Und des frühen 20. Jahrhunderts eine Motivlage brauchten, um sozusagen den inneren Frieden wiederherzustellen in ihren autokratischen repressiven Systemen und allen voran war, dass das russische Reich und so sind die Protokolle erwiesenermaßen ein Produkt des russischen Geheimdienstes, des zaristischen russischen Reiches, also des Zarenreiches. 

 

Die „Protokolle der Weisen von Zion“ werden Anfang des 20. Jahrhunderts in einer russischen Zeitung gedruckt. Jüdinnen und Juden müssen mit dieser Verschwörungserzählung als Sündenböcke für die politische Instabilität des späten russischen Zarenreiches herhalten. Angeblich stecken sie hinter allen modernen Bewegungen, die sich für die Abschaffung der Monarchie stark machen: Dem Liberalismus ebenso wie dem Kommunismus, Anarchismus oder der Demokratie. Der internationale Erfolg der angeblichen Protokolle gelingt vor allem durch ihre Anpassungsfähigkeit. Aus unzähligen Übersetzungen auf der ganzen Welt zitieren antisemitische Verschwörungsgläubige aus diesen Schriften. Auch Adolf Hitler bezieht sich in seinem Buch “Mein Kampf” direkt auf die Protokolle. Im Nationalsozialismus dient die Verschwörungserzählung als Argument für die Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden – So können die Nazis sich als wehrhafte Opfer einer Verschwörung inszenieren. Zusätzlich unterstützt die Verschwörungserzählung die nationalsozialistische Propaganda: Jede Berichterstattung, die nicht passt, wird mit dem Begriff “Judenpresse” als erlogen und falsch diffamiert. So können sich die Nazis der politischen Opposition entledigen und die freie Presse zerschlagen.

 

Gideon Botsch

“Judenpresse” ganz konkret ist ja ein Schlagwort, ein Propagandaschlagwort was Bekanntheit erlangt durch die nationalsozialistische Propaganda der 20er Jahre. Ganz stark gerichtet auf die liberale Presse, auf die liberalen Medien, vor allem die Print Erzeugnisse, also die Presse kann man schon sagen in der Weimarer Republik. Und hier ging es darum sozusagen einen bestimmten Teil der Medienlandschaft zu entwerten, anzugreifen und sozusagen zu desavouieren, zu schädigen, während sozusagen der mediale Einfluss der rechten und nationalistischen und auch antisemitischen Medien deutlich wuchs.

 

Zu behaupten, „die Anderen“ hätten die Kontrolle. Selbst Propaganda veröffentlichen aber jede Gegenrede dann aber als solche bezeichnen. Das können wir auch heute wieder verstärkt beobachten. Aber wieso funktionieren Verschwörungsmythen aus dem letzten Jahrtausend immer noch? Was sagt unsere Psychologin dazu?

 

Pia Lamberty

Über Medien gibt es ja auch eine Vielzahl von Verschwörungserzählungen: Dass die Medien die Welt kontrollieren würden oder dass eben einzelne Politikerinnen die Medien kontrollieren oder die jüdische Weltverschwörung hinter den Medien – das zieht sich ja durch. Und zum einen hat man da natürlich historische Formen der Kontinuität, das ist ja nichts Neues, dass Lügenpresse geschrien wird. Da kann man in die jüngere deutsche Vergangenheit gucken. Wenn ich jetzt an Pegida denke, zum Beispiel, die rassistische Bewegung die vor allem in Ostdeutschland, in Dresden, groß geworden ist, aber auch nochmal weiter zurück, mit Blick zum Beispiel auf den Nationalsozialismus spielte das eine große Rolle und ich glaube man sollte das nicht unterschätzen, wie diese kulturelle Tradierung von Stereotypen, also diese kulturelle Weitergabe, durchaus auch eine Rolle spielt bei der Entwicklung und der Aufrechterhaltung von Vorurteilen. Dann gibt es aber natürlich auch vielleicht noch eher psychologische Erklärungen, wo man dann auch wieder über Vertrauen in Medien sprechen kann. Menschen neigen ja auch eher dazu, Informationen zu glauben, die ihrer eigenen Haltung entsprechen. Das ist jetzt nicht spezifisch eine Gruppe, sondern das findet man eigentlich bei sehr vielen Menschen. Und das nutzen ja auch gerade sogenannte „Alternativmedien“ für sich oder rechtsextreme Akteure, faschistische Akteure, um dieses Feindbild Medien nochmal zu stärken, dass man eben dann glaubt: „Die Medien lügen alle und nur auf meinen Telegram Kanal, den ich gerade lese oder wo ich mich so rumtreibe, da wird die Wahrheit gesprochen“.

 

Alternative Medien, faschistische Akteure, Pegida... Wir sind mittendrin in den Geschehnissen unserer Zeit. Der Kampfbegriff “Lügenpresse” ist seit der Nazizeit etabliert und hat heute leider noch darüber hinaus breiten Anklang gefunden. 

 

2014 formiert sich erstmals die Bewegung PEGIDA. Die Abkürzung steht für die Selbstbezeichnung: „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes”. Die Pegida-Bewegung schaffte es zu Hochzeiten mehrere tausend Menschen auf ihren Demonstrationen zu mobilisieren. Ihr Markenzeichen: Demokratiefeindliche und rechtsextreme Einstellungen. Befürwortung von Gewalt. Und: Verschwörungsdenken, vor allem in Bezug auf Medien. Auf den Demonstrationen kommt wiederholt zu Angriffen gegen Journalistinnen und Journalisten und zu Ausrufen wie “Lügenpresse - auf die Fresse”. Heute ist die Bewegung nicht mehr aktiv, jedoch haben sie eines geschafft: Lügenpresserufe finden sich auch heute noch auf Demonstrationen. Und das Vertrauen in den Journalismus ist auch im Rest der Gesellschaft zurückgegangen. Und das, obwohl Deutschland laut Reporter ohne Grenzen weiterhin als sicheres Land in Sachen Pressefreiheit gilt.

 

Ähnlich verstörende Bilder kennen wir noch von den Protesten rund um die Corona-Pandemie, aber auch aus anderen Kontexten. Auch dort kam es zu massiven Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten und zu verschwörungsideologischen Äußerungen. Und, kein Wunder – auch zu Antisemitismus. Und es wird uns auch noch weiter beschäftigen, denn: 

 

Pia Lamberty

… das ist ja auch ein politisches Instrument die freie Presse immer wieder anzugreifen und als Feindbild zu markieren, um eben eine freie Berichterstattung, die ja auch dann gerade gegen Autoritarismus kritischen Blick darauf wendet, zu unterbinden und zu verunmöglichen. Das dementsprechend ich würde sagen, man hat immer so einen Dreiklang: aus historischen Kontinuitäten, aus politischen Instrumentalisierungen, aber eben auch aus psychologischen Bedürfnissen und Mustern, die hier gestillt werden.

 

Genau darum geht es. Das Vertrauen zu untergraben. Einfach jede Berichterstattung, die einem nicht passt, als Propaganda bezeichnen. Damit waren auch schon die Nazis erfolgreich – warum soll es also nicht auch heute funktionieren? Wir halten fest: Bei Begriffen wie „Lügenpresse” oder „Systemmedien” sollten wir hellhörig werden. Da geht es nicht um Kritik, sondern um Diffamierung. Und beim Begriff „Judenpresse” ist die Sache ohnehin klar: hierbei handelt es sich um Antisemitismus. Lassen wir mal aber eine provokante Frage zu: Haben die ganzen Verschwörungsgläubigen nicht auch ein bisschen Recht? Also nicht, dass jetzt Jüdinnen und Juden die Presse kontrollieren würden. Aber, gibt es sie nicht wirklich? Mächtige Eliten, die bestimmen, was auf der Agenda steht? Zum Beispiel der Multi-Milliardär Elon Musk. Er kaufte das Portal Twitter auf und baute es gleich mal zu einer rechtspopulistischen Propaganda-Plattform um. Jetzt heißt die Plattform X. Und ist bekannt dafür, dass die Algorithmen vor allem bestimmte politische Inhalte pushen. Haben die Verschwörungsgläubigen also Recht? Was sagen sie dazu, Frau Kolleck? 

 

Nina Kolleck

Ja, es gibt einen wahren Kern. Einerseits jetzt beispielsweise in Bezug auf Twitter / X, was wir jetzt erleben. Dass eben Elon Musk, der sehr finanzstark ist, hier eben auch Twitter, als ein soziales Netzwerk, dass sehr stark für die öffentliche Meinungsbildung weltweit genutzt wird und verwendet wird, hier kontrolliert und hier eingreift. Das heißt auch ganz gezielt Informationen und auch teilweise Falsch-Informationen und politische Informationen streut und vor allem das auch nutzt, um beispielsweise das Wahlverhalten mit zu beeinflussen, beispielsweise jetzt vor der US-Wahl. Von daher ist dieses Vorurteil nicht unberechtigt. Zudem wissen wir ja auch in Deutschland, dass bestimmte Medien eben auch beeinflusst werden von finanzstarken Persönlichkeiten. Gerade wenn wir uns in das Feld der privaten Medien begeben. Und zudem wissen wir ja auch das alle Medien immer eine Selektion betreiben müssen, das heißt alle Medien müssen entscheiden welche Informationen jetzt wichtig sind und damit wirken sie ganz explizit auf die Meinungsbildung ein. 

 

Wir sehen also: Es gibt tatsächlich so etwas wie Medienkontrolle. Die funktioniert aber meistens über private Besitzverhältnisse. Wenn einzelne Personen wie Elon Musk oder der mittlerweile verstorbene italienische Medienmogul Silvio Berlusconi ganze Medienhäuser oder soziale Plattformen besitzen, können sie auch darüber entscheiden, in welchem Sinne sie genutzt werden können. Und dann gibt es noch Boulevard-Medien wie die BILD-Zeitung, die lange Zeit als mächtigstes Medium in Deutschland galt. Auch dort zeigten Recherchen auf, dass finanzielle Verbundenheit und freundschaftliche Beziehungen direkte Auswirkungen auf die Berichterstattung hatten. Also nicht die Suche nach der Wahrheit im Mittelpunkt stand, sondern Verkaufszahlen und politische Sympathien. Übrigens ist X eine der Lieblingsplattformen von Verschwörungsgläubigen…

 

Nina Kolleck

Und es gibt hier eine klare Unterscheidung zwischen den klassischen traditionellen Medien wie also Fernsehen, Funk und Presse und den „Neuen Medien“, wie beispielsweise die sozialen Medien, Youtube, Tik tok, Instagram oder beispielsweise eben auch Telegram, wo eben die extreme Radikalisierung stattfindet. Gerade auch in Bezug auf Antisemitismus. Von daher haben wir eine große Unterscheidung. Denn die Menschen misstrauen ja nicht allen Medien, sondern sie misstrauen ja den – in Deutschland insbesondere den öffentlich-rechtlichen Medien, beziehungsweise den traditionellen/ klassischen Medien, also insbesondere ARD und ZDF, bzw. Radio, Deutschlandfunk etc. oder ZEIT, Spiegel, Tagesspiegel etc. Das heißt: solchen Medien und solchen Journalisten wird misstraut, weil sie eben als Handlanger des Staates dann oft dargestellt werden, oder verstanden werden. Und den neuen Medien wird wiederum extrem vertraut. 

 

Das ist bemerkenswert. Weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk genau deshalb eingeführt wurde: um wirtschaftliche und damit auch politische Unabhängigkeit zu gewährleisten. Durch die Gebührenfinanzierung kann nämlich sichergestellt werden, dass journalistische und ethische Prinzipien im Mittelpunkt stehen. Sogenannte Rundfunkräte dienen außerdem als Kontroll-Organ: Sie kritisieren, wenn die Prinzipien nicht eingehalten werden oder keine ausreichende Staatsferne vorhanden ist. Natürlich sind die öffentlich-rechtlichen deswegen nicht automatisch unfehlbar. Trotzdem sind sie strukturell auf Unabhängigkeit und Repräsentanz ausgelegt. Doch für Verschwörungsgläubige scheint genau das eine Verschwörung – eine Staatsverschwörung – darzustellen. Sie glauben lieber Leuten, die ihnen genau das sagen, was sie hören wollen:

 

Nina Kolleck

Bei Personen, die Verschwörungserzählung anhängen sehen wir ganz oft, dass sie ein größeres Vertrauen dann auch finden in den sozialen Medien, weil ihnen die Influencer dort vertrauter und authentischer erscheinen und oft ja auch andere Themen noch verbinden. Also wir sehen sehr stark eben bei so Podcastern, die auch eine hohe Popularität ja gerade unter jungen Menschen haben und wir sehen diesen Einfluss auch bei beliebten Influencern oder auch in der Popkultur, dass hier Verschwörungserzählungen aufgegriffen werden von Personen, die vorher als sehr authentisch wahrgenommen wurden, aber gar nicht so in Bezug auf politische Informationen, sondern beispielsweise in Bezug auf Schmink-Videos oder andere Themen, die Menschen eben beschäftigen und dann plötzlich also erst das vertrauen über diese Themen gewonnen wurde und dann aber plötzlich eben auch politische Falschinformationen oder Verschwörungserzählungen hiermit verknüpft werden.

 

Vertrauen und Authentizität sind wichtige Währungen im Kampf um die Aufmerksamkeit der Mediennutzenden. Die meisten Klicks und Views bekommen dabei nicht immer die Inhalt, die korrekt sind. Auch das Spiel mit den Emotionen wird immer wichtiger: 

 

Nina Kolleck 

Zudem sehen wir, dass auch Parteien, die als alternativ dargestellt werden oder sich darstellen, dann gerade in den sozialen Medien sehr aktiv sind und auch hier oft Verschwörungsnarrative verbreiten und damit eben sehr erfolgreich sind, weil es über diese Verschwörungsnarrative oft gelingt, Emotionen aufzubauen, also viel emotionalisierter, viel knackiger und oft ja auch verwebt mit Hassrede – mit Hatespeech – oder auch mit gewaltverherrlichenden Videos, beispielsweise. Oder muss nicht gewaltverherrlichend sein, aber mit Gewalt-Videos untermalt, dann hier eben auf viel mehr Aufmerksamkeit stoßen.

 

Klingt nach Populismus. Und für den sind wir alle zugänglich, auch, wenn wir das gar nicht wollen. Wie schafft man es, eben nicht in plumpes Verschwörungsdenken abzudriften und sich trotzdem ein gesundes Maß an Skepsis zu behalten? Wie schafft man es, nicht populistischer Meinungsmache auf den Leim zu gehen? Was sagen unsere Expertinnen Nina Kolleck und Pia Lamberty dazu? Was tun?

 

Pia Lamberty

Verschwörungserzählungen haben ja ganz häufig so ein apokalyptisches Element. Der Weltuntergang steckt im Verschwörungsglauben quasi immer um die Ecke. Und das ist ja etwas was vielleicht gerade auch mehr Menschen anspricht, weil die Welt so fragil ist, weil man Angst davor hat ja vor dem Anstieg von faschistischen, rechtsextremen Akteuren, vor islamistischen Anschlägen, vor Kriegen, Kriegen Katastrophen. Und ich finde es wichtig, dass man da vielleicht selber auch in sich mal hineinschaut und so eine Form vielleicht von Resilienz auch entwickelt, dass man nicht am Ende solchen Akteuren auf den Leim geht, weil man so verunsichert ist von der Welt. Und das ist etwas, was ich generell immer mitgeben würde, dass man nicht nur schaut was sagen denn die anderen oder die anderen sind das Problem. Sondern dass man in der Reflektion immer bei sich selber anfängt. Weil im Endeffekt – das kann uns allen passieren, dass wir Lügen aufsitzen, dass wir Verschwörungserzählungen aufsitzen, dass wir Populismus oder Propaganda folgen weil sie unser eigenes Weltbild ja irgendwo befriedigt, weil sie psychologische Bedürfnisse stillen können. Und dass man da so eine Wachsamkeit entwickelt, vielleicht auch für eigene Verletzbarkeiten, also dass wenn man gerade merkt, man ist politisch vollkommen, ja vielleicht desillusioniert, und frustriert, dass das ein Moment ist, dass wenn die richtige Gruppe kommt, dass man auch dann anfällig sein kann. 

 

Nina Kolleck

Es ist ganz wichtig, dass wir, wenn wir ein Vertrauen aufgebaut haben zu einem bestimmten Journalisten beispielsweise, oder zu einem bestimmten Medium, dass wir, wenn wir uns in diesen Themenfeld noch nicht so gut auskennen, uns nicht direkt eine Meinung bilden. Dass wir vielleicht denken: Okay, dieser Quelle kann ich vertrauen, aber ich kenn mich noch nicht gut genug damit aus, um hier auch eine eigene Meinung zu vertreten und dann auch zu verbreiten. Dafür müsste ich mich erstmal informieren. Wir können uns nicht über alle Themen informieren. Und wir können nicht über alle Themen immer 100% Bescheid und alle unterschiedlichen Perspektiven und Quellen und Medien miteinbeziehen. Und das ist auf jeden Fall auch wichtig, dass wir hier im uns eingestehen, dass wir nicht immer zu allen Themen gleich eine Meinung haben können, die wir offensiv eben vertreten und verbreiten, weil uns dann nämlich oft ein Fehler passieren kann und wir selber zur Verbreitung von Fehlinformationen beitragen können.

 

Auch das Wissen um Qualität hilft uns. Guten Journalismus erkennen wir daran, wenn folgende Gütekriterien eingehalten werden:

  • Es wird sich auf mehrere Quellen bezogen.
  • Die Quellen werden genannt und können überprüft werden.
  • Es werden unterschiedliche Perspektiven auf Sachverhalte dargestellt.
  • Es werden widerstreitende Meinungen abgebildet.
  • Wenn Fehler in der Berichterstattung entdeckt werden, werden die Korrekturen veröffentlicht.

 

Damit kommen wir zum Ende. Fassen wir also noch mal zusammen: 

Erstens: Skepsis ist gut und angebracht, schlechter Journalismus ist in jedem Fall zu kritisieren, Filterblasen zu hinterfragen. Aber wenn es um die Vorstellung geht, dass alle Medien gleichgeschaltet werden und kontrolliert werden, dann handelt es sich um Verschwörungserzählungen. Bei bestimmten Begriffen sollten wir außerdem hellhörig werden – sie entstammen dem Antisemitismus. 

Zweitens: Die Verschwörungserzählung, dass alle Medien gleichgeschaltet wären, ist alt und kann je nach Kontext angepasst werden. Und damit machen es sich Verschwörungsgläubige übrigens ganz schön einfach: Wenn alles als Fake-News und Propaganda gilt, was einem nicht in den Kram passt, dann hat man ja immer recht.

Drittens: Vor allem rechte Akteure nutzen das fehlende Medienvertrauen, um ihre Narrative zu verbreiten. Das tun sie auch mit Hilfe von Verschwörungserzählungen. Was tun, wenn in Zeiten wie diesen, mit immer mehr Informationen, die immer schneller auf uns niederprasseln – Ruhe bewahren und sich stetig selbst zu hinterfragen. 

Das war unsere Episode zum Thema Medien. Bis zum nächsten Mal bei verdächtig mächtig.

 

 

„Üble Botschaft kommt immer zu früh.“
Sprichwort
„In den Qualen des Intellekts findet sich eine Haltung, die man vergebens in denen des Herzens suchen würde. Die Skepsis ist die Eleganz der Angst.“
Emile Michel Cioran
„Im Endeffekt kann uns das allen passieren: Dass wir Lügen aufsitzen, dass wir Verschwörungserzählungen aufsitzen, dass wir Populismus oder Propaganda folgen, weil sie unser eigenes Weltbild befriedigen, weil sie psychologische Bedürfnisse stillen können.“
Dr. Pia Lamberty

Themenfolgen

Wer regiert uns?

Mythen über "die Juden" und die Politik

Special

Ein Gespräch über die Gefahren des Engagements

Wer verrät uns?

Mythen über "die Juden" und Krieg

Wer lenkt das Geld?

Mythen über "die Juden" und die Finanzsphäre